Dienstag, 28. Juli 2009

an-gehen

Den Weg angehen heisst zuerst mal weggehen. Loslassen, was bisher alltägliche Normalität war. Auf viele Annehmlichkeiten meines bequemen Lebens verzichte ich jetzt.
Da stehen Fragen: Was nehme ich mit? Es sind genau 10 kg Gepäck am Rücken. Was ist wenn? Ich entschliesse mich das Handy mitzunehmen. Ich in meiner Situation habe Verantwortung auch für einige Menschen, die ich zurücklasse. Ich merke, dass mir eine völlige Trennung vom bisherigen Leben nicht möglich ist - und wohl auch nicht mein Weg.
Heute ist ein herrlicher, sonniger Tag - nach so vielen eher kalten Regen- und Gewittertagen. Blauer Himmel, kühle Luft, viel Sonne, Ruhe schon im Dorf als ich unser Haus verlasse. Doch das ändert sich unerwartet schon am Bahnhof: Unsere Ortsfeuerwehr rückt mit Martinshorn und Blaulicht aus. Da ist vermutlich wieder ein Unfall auf der Schnellstrasse geschehen.
Ein Pfiff, die zwei Lokomotiven fahren ächzend und kreischend an.
Der Weg führt mich heute von Stein am Rhein dem Bodensee entlang nach Konstanz. Meine Idee dabei ist, so den Anschluss an den Jakobsweg zu bekommen.
Eschenz wurde im 6. Jahrhundert Christianisiert. Auf der Insel Werd wurde schon früh eine Pilgerstätte für den verbannten Abt Otmar von St. Gallen (gestorben 759) eingerichtet. 959 ging Eschenz mit der St. Vitus-Kirche ans Kloster Einsiedeln über. Ab 1582 mussten die Reformierten von Eschenz nach Stein am Rhein zum Gottesdienst und später wurden sie auch nur noch dort begraben. Da wird der tiefe Graben von Römisch-katholischen und Reformierten auch in einem kleinen Dorf abseits der grossen politschen und religiösen Machtkämpfe sichtbar. Auch am anderen Seeufer: Ein grosser, alter Gebäudekomplex - eine Klosteranlage?
Gestern predigte ich über die Speisung der 5000 (Johannes 6,1ff). Die Jünger Jesu lernen im Erleben mit Jesus - Jesus versorgt, er gibt ohne lange zu fragen. Und wir haben unsere fünf Brote und zwei Fische zu geben - z.B. für den Hunger dieser Welt.
Mammern: wieder diese zwei Kirchen - röm.-katholisch und reformiert. Der erste Waldfriedhof ist hier: "Friedwald". Die Werbung am Strassenrand versucht diese Bestattungsart schmackhaft zu machen... Interessanter ein paar Schritte weiter: Da steht ein hohes Drahtgestell (verzinktes Armierungseisen) das mit beschriebenen Steinen gefüllt ist. Das wäre eine gute Idee für einen alternativen Grabstein. Die Trauernden würden je einen Stein mit Wünschen, Gebeten, Worten, Zeichen da hineinlegen.
Auffällig sind für mich die vielen Privatgrundstücke. Jeder baut sich hier sein kleines Reich, verwirklicht sich in Wohnträumen. Da leistet man sich was - für sich.
Jetzt wird der Weg härter. Die Sonne brennt und der Weg geht leider kaum durch schattigen Wald.
In Kreuzlingen liegt die Jugendherberge ausgerechnet auf der andern Stadtseite. Das ist für mich ein Stück "Kreuz tragen". Also gehe ich durch die ganze Stadt. Obschon ich kaum noch laufen konnte. Ich wollte zu viel. Und dann hat es keinen Platz in der Jugendherberge. Das ist wie an Weihnachten und meine dabei nicht die Geschenke...
Blasen an den Füssen hindern mich weiterzugehen. Ich beschliesse in diesem wunderschönen Park neben der Herberge zu übernachten.
Leider kam dann gegen Mitternacht ein heftiges Gewitter. Meine wasserdichte Schlafsackhülle war wasserdurchlässig. Somit sog sich der Schlafsack mit köstlichem Regenwasser voll und ich hatte überhaupt nicht mehr heiss. Ich packte alles zusammen und suchte Schutz unter einer gedeckten Bank. Zum Glück hatte ich noch trockene Kleider, so fror ich nur wenig. Aber ich entschloss mich mit dem ersten Zug nach Hause zu fahren um mich wieder neu zu rüsten.
Das An-gehen ist etwas harzig - aber auch das hat einen Sinn.
Zu Hause angekommen, treffe ich alle in Aufruhr. Der Nachbar sei gestern Vormittag auf der Schnellstrasse tödlich verunglückt. Die Feuerwehr habe ihn aus dem zerstörten Auto herausschneiden müssen.

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