Donnerstag, 6. August 2009

an-beten

Der Weg von Pfäffikon nach Einsiedeln führt zuerst steil bergan und wird dann einige Kilometer flacher. Vor Einsiedeln tut sich dem Pilger ein atemberaubendes Bild auf: Imn Vordergrund der Sihlsee (ein Stausee seit 1937) und im Hintergrund das Alpenparorama. Auch heute war wieder ein sonniger, heisser Tag. Hjier begene ich nun auch viel mehr Menschen: Wanderer, Biker, Ausflügler, Pilger. Die meisten Menschen sind sehr nett und freundlich. Aber einige - wie dieser ältere Motorradfahrer, dem ich den Vortritt auf dem Fussgängerstreifen leicht erzwungen habe und der mir "schlechte Wünsche" hinterherrief - gibt es auch. Mir erscheinen sie voreingenommen, agressiv, oft lautstark bis gewaltsam mit einer Unzufriedenheit als Grundeinstellung. Denen will ich besonders mit Freundlichkeit und Liebe begegnen, denn sie wissen nicht, wer sie sind und wissen auch nicht, was sie tun.

Nun hat dieser steile Anstieg des Weges seine Parallele zum Hörnliweg. Jetzt trete ich wieder über diese Grenze von geschäftig-reformiert zu stetig-katholisch. Pfäffikon ist zwar nicht ausgesprochen reformiert aber säkularisiert: Gastronomie und Wirtschaft, Schulpsychologischer Dienst, Kebab. Ich denke, dass dahinter ein tieferer Grund liegt: Die ältere Generation hat der jüngeren den christlichen Glauben nicht weitergegeben. Sie hatten ihn ja selber nicht mehr - sie haben sich davongeschlichen.

Im Aufstieg wird der Weg manchmal wild: Waldboden mit grossen Wurzeln und eine leere Packung Dafalgan. Am Wegrand steht: "Pilgern heisst mit den Füssen beten."



Auf dem "Gipfel" steht die St. Mainrad Kapelle. An der Wand steht: "Ich hab dies auserwählt, dass ... mein Herz allzeit daselbst Bleiben soll. 2.par.c.7." Im Restaurant daneben ist Wirtesonntag. Einige Pilger sitzen in der Gartenwirtschaft und essen ihr Picknick. Genau jetzt, wenn ich da vorbeigehe, kommt der Wirt aus dem Haus, mit einem grossen Stempel in der Hand und beginnt bei den Pilgern ihre Pässe zu stempeln. Da schliesse ich mich auch gleich an und bekomme einen sehr schön gestalteten Eintrag.



Die Teufelsbrücke. Eine erste Brücke stand hier schon im 12. Jahrhundert. Das Bachtobel wäre sonst wohl auch kaum sicher zu überqueren. Bei dieser Brücke sei Paracelsus 1493 geboren worden.

Einsiedeln



Was soll ich dazu sagen? Ein "Prior" schreitet schwarz gekleidet, wichtig über den weiten Klosterplatz. Dieser Platz wurde 1419 gebaut, angeblich um einen ausreichenden Abstand zwischen dem Kloster und dem Dorf zu schaffen, damit das Feuer nicht übergreifen kann. Von welcher Seite das Feuer dann käme, wird nicht gesagt.
Sicher, sie ist gross, mächtig, stellt was dar - die barocke Kirche. 1656 bis 1723 wurde sie gebaut. Vorher stand an ihrer Stelle eine ähnlich grosse gotische Kirche. Seit 934 gibt es das Benediktinerkloster in Einsiedeln. Es ist der berühmteste Wallfahrtsort der Schweiz. Die Leute kommen wegen der schwarzen Madonna. Sie ist in der Kirche nahe des Haupteingangs, zentral in einem freistehenden Altar dargestellt. Ich bin erstaunt wie viele Menschen andächtig vor dieser Statue sitzen und die schwarze Frau mit dem schwarzen Kind eingebettet in einen grossen Goldkranz, der zu explodieren scheint, anbeten. Da kommen Menschen aus allen Himmelsrichtungen, oft gleich ein ganzer Car voll. Einsiedeln ist schon lange keine Einsiedelei mehr.
Interessant auch folgendes zu beobachten: Hinter dem Gitter eines Nebenaltars hantiert ein greiser Priester. Eine ganze Traube von Menschen steht an diesem Gitter(es erinnert mich ganz klar an einen Zoo) und halten ihre "Andachtsgegenstände" (Kerzen, Kreuze, Schriften) hin. Der Prister segnet sie - ja, die Gegenstände - indem er murmelnd mit den Fingern das Kreuz schlägt und dann den Gegenstand mit Weihwasser betupft. Wie selbstverständlich gehen die, so mit einem Andachtsgegenstand Gesegneten, weg: Teenager, Geschäftsherren, Grossmütter,...



Votivbilder zuhauf - mit wüsten Szenen von Unfällen und Krankheiten. Die Menschen danken mit diesen Bildern für ihre Heilung. Beeindruckend auch in zwei Nischen neben dem grossen Portal - die Sammlung von Krücken, Prothesen, Fesseln - wohl von Befreiten und Geheilten.
Ich wusste es zwar, aber das jetzt zu sehen, erschreckt mich doch. So viele Menschen stehen auf eine solche Spiritualität und merken nicht, dass sie da ein Geschäft mit Gott und der Handelsstelle "Kirche" betreiben. Sie werden eigentlich hinters Licht geführt. Der christliche Glaube wäre doch: Glaube an Jesus Christus, dann wirst du seelig werden. Er ist für dich und deine Sünden gestorben. Er hat bezahlt, so dass du ohne zu zahlen, leben kannst. Er lebt in denen, die an ihn glauben. Deren Herz ist erfüllt vom Heiligen Geist. Sie brauchen keine Vermittler noch Andachtsgegenstände. Der dreieinige Gott ist einzig würdig, angebetet zu werden. Hier in Einsiedeln wäre eine Reformation hin zum Evangelium von Jesus dringend nötig! Aber fast unaufhörlich klingelt der Opferstock in der Kirche weiter.



Auf dem Klosterplatz wird jedes Jahr das "Grosse Welttheater" von Pedro Calderon de la Barca (1600-1681) aufgeführt. Hier ein Zitat daraus: "Wisset, euer ganzes Leben ist ein Spiel vor Gottes Antlitz. Spielet trefflich drum die Rolle, die der Meister euch verliehen! Vor dem Herrgott, unserm Vater, spielt ihr euer Welttheater. Tuet recht! - Gott über euch!"

Am 2. Mai 1798 fielen die französischen Soldaten in Einsiedeln ein und plünderten das von den Mönchen verlassene Kloster.

1353 stand am Dorfplatz ein Pilgerspital. Das wurde später als Waisen- und Armenhaus genutzt und dann abgebrochen.

Im Migros-Restaurant esse ich einen feinen Zwetschgenkuchen.

Mittwoch, 5. August 2009

Der helle Weg

War Jakobus in Spanien? Sein Freund Paulus jedenfalls träumte davon, dorthin zu gehen: "Wenn ich reisen werde nach Spanien..." (Römer 15,24). Auf einer Jakobsweg-Erklärungstafel steht die Legende zur Muschel: Ein Ritter brachte die Leiche des Jakobus nach Spanien auf dem Schiff. Die Leiche jedoch ging im Meer verloren. Auf wunderbare Weise kam sie wieder zum Vorschein und zwar mit den bekannten Muscheln bedeckt.

Der Weg führte mich heute von Gibswil nach Rapperswil und dann über den Seedamm nach Pfäffikon. Es war ein heisser Sommertag. Aber meistens wehte ein feines, kühlendes Lüftchen und mein Strohhut tut gut.
Ich könnte ja einen beliebigen Weg wählen. Ich könnte links oder rechts abbiegen. Ich könnte ausweichen. Ich könnte einen vermeintlich besseren Weg gehen. Aber zum hellen Weg (hell im Gegensatz zum dunklen Weg der Depression, des Leidens, der Not) gehört, dass ich mich dem Gegebenen füge.

Als die Alpen am Horizont auftauchten und etwas später der Zürichsee, bekomme ich richtig Lust weiterzugehen und Rapperswil zu erreichen.

Eine Begegnung mit einem alten Bauern ruft mir den Preiskampf, die Ungerechtigkeiten im Handel, das Geschäfte machen als Lebens(er)füllung in den Sinn. Die ersten fünf Minuten hat er mit mir hochdeutsch gesprochen - dann hat er gemerkt, dass ich auch einen Schweizerdialekt spreche und hat dann umgestellt: "Es kommen fast nur Deutsche hier vorbei."

Der Weg geht durch einen Hohlweg.

An dieser Wegstrecke gibt es einige ehemalige Pilgerherbergen. Hier die in Töbeli. Sie wurde 1621 erbaut. An der Wand diese schönen Worte:



Im Fenster stehen Gegenstände die mich ahnen lassen, wer dort jetzt wohnt: Synkretisten, Esoteriker - "die Kraft spüren, es ist nicht wichtig welche Religion du hast, aber du musst eins werden mit dem Ganzen,..usw."

Rapperswil mir dem See und der Burg. Das Städtchen zeigt sich von seiner besten Seite. Hinter der Postkartenidylle sind Menschen mit ihren manchmal ganz traurigen Geschichten. Ich freue mich, dass hier die Kirche "Prisma" wirkt. Eine Freikirche, die nah bei den Menschen und nah bei Gott ist und so wirkliche Spiritualität lebt. Ich treffe hier auch ein Kapuziner Kloster (die Mönche sehe ich nicht) in dem seit mehr als 400 Jahren Kapuzinermönche (Franziskaner) leben und wirken. Heute bieten sie Frauen und Männern für eine Woche bis zu einem halben Jahr an, mit ihnen zusammen zu leben. Sie schaffen Raum um Ruhe, Innerlichkeit und Spiritualität zu erfahren. Draussen vor dem Kloster will ein Bettler Geld. Später treffe ich ihn sogar in der Kapelle der Kapuziner und dort spricht er auch Besucher um Geld an. In der schlicht gestalteten Kapelle ist ein Liturgiebuch aufgeschlagen - bei Kapitel 6 des Johannesevangeliums - die Speisung der 5000.

Dienstag, 4. August 2009

Übers Hörnli

Der Beginn des heutigen Weges ist ein Jubellied. Wunderbares Wetter, ein sanftes Bergsträsschen. Von Fischingen gehts heute über das Hörnli nach Steg und noch etwas weiter durch das Tal bis Gibswil.



Das Hörnli hat zwei saftige Aufstiege, zum Teil über Treppen. Die Strecke Steg-Gibswil ist zwar flach aber man geht vor allem auf der Hauptstrasse.

Es ist ja wirklich eine abgelegene Gegend hier - aber mitten in die Ruhe grollt der Lärm der Langstreckenlinienflugzeugmotoren.

In der Kirche von Au ist in kleinen Bildern der Leidensweg Jesu dargestellt. So stelle ich mir den Sinn vor, der diese Bilder für die Menschen hatten, die das Bibelwort nicht lesen konnten oder durften: Sie nahmen das Wichtigste der christlichen Lehre über solche Bilder auf. Aber geht das überhaupt? Können Bilder das Wort ersetzen?

Eine Deckenmalerei ist in dieser Kirche auch interessant: Ein Mönch ist mit "Fäden" zu den Wundmalen Jesu verbunden. Den Gekreuzigten vor Augen - das wird auch an der Kanzel so dargestellt. Ein Kruzifix, dem Prediger zugewandt, soll ihn wohl erinnern, wen er da zu verkünden hat.



Das Hörnli ist wie eine Schranke: Im Norden die Katholiken, im Süden die Reformierten. In Fischenthal ist die Strasse neu geteert, die Markierungen exakt aufgemalt, die Kapelle der Methodisten ist der reformierten Landeskirche verkauft und wichtig sind hier Baugeschäfte, Anschlagbretter mit Werbung und Autolakiererei. Vom Jakobsweg ist kaum was zu sehen. Hier auf der reformierten Seite des Hörnli scheint Gott nicht mehr im Leben der Menschen eine Rolle zu spielen. So ist auch die Kirche von Fischenthal zuerst einmal kalt, langweilig, leer. Doch bei näherem Hinsehen entdecke ich doch relevante Zeichen: Die drei farbigen Glasfenster im Chor, die dominierende Orgel, ein Kreuz steht da und ist mit "Konfirmation 2008" angeschrieben. Und die Bibel ist bei Psalm 104 aufgeschlagen. An der Wand steht gross "Herr, du tust mir kund den Weg zum Leben." aus Psalm 16.

Montag, 3. August 2009

Jakobsmuschel

Der Wetterbericht verheisst dunkle Wolken und ein Regentag. Trotzdem mache ich mich von Münchwilen auf. In Fischingen hatte ich dann genug Wasser unter dem Regenschutz um nicht mehr weiterzugehen.
Dazu passen die vielen Muscheln, die ich auf dem Weg antreffe. Sie sind das Pilgerzeichen. Ich treffe sie an Hauswänden, auf Wegweisern und in Sirnach in dreifacher Ausführung im Gemeindewappen. Das zeigt, dass Sirnach schon von alter Zeit her eine Pilgerstation war. Die Beamtin der Gemeindeverwaltung ist sehr freundlich und drückt mir mit guten Wünschen für die weitere Reise, einen Stempel in meinen Pilgerpass. Gleichzeitig melden sich zwei Ausländerinnen am zweiten Schalter in der Schweiz an: "Wir sind in die Schweiz eingereist - welche Aufenthaltsbewilligung bekommen wir?"
Die Jakobsmuschel: Sie ist im Meer zu finden, dort, wo das Ende des Jakobweges ist. Eine schöne Übertragung habe ich dazu in Sirnach gelesen: Die Jakobsmuschel zeigt Himmel und Erde wie sie zusammenkommen und die Perle hervorbringen - Jesus Christus. In ihm verbinden sich Himmel und Erde und er ist die wertvolle Perle für uns.

Das Kloster Fischingen ist von Benediktinermönchen bewohnt. Es gibt eine Schreinerei, eine Töpferei, einen Gastrobetrieb und eine Pfarrei. In einer Kapelle werden die Stundengebete der Mönche abgehalten - in den Stuhlreihen hat jeder Mönch gleich sein Pult mit den liturgischen Büchern. Im "Direktorium 2008/2009 der Benediktiner-Kongregation" lese ich: "Dienen mag hier, wer Willens, nach strengem Gesetze zu leben, Eifrig bestrebt; wenn nicht: "Schnell nur fort!", ist das Gebot." Ja, so ist das wohl im mönchischen Leben. Klar auch, dass sie Nachwuchsprobleme haben. Ein Kloster ist eigentlich eine kluge Erfindung: Hier kommen Himmel und Erde auch zusammen und zwar in einer recht ausgewogenen Mischung - das Spirituelle erhält hier seinen angemessenen Platz und viel Gutes wird durch das Kloster getan.



Diese steile Treppe zur Klosterkirche macht den Weg zwischen Himmel und Erde nicht gerade leicht...
Die barocke Kirche vermittelt auch innen etwas ganz anderes als das Muschel-Gleichnis. Diese pompöse, kitschige und schwülstige Einrichtung. Diese vielen Altäre und Bilder. Der hohe Bau und das Gitter mitten in der Kirche - die Trennung von Laien und Priestern - das bringt wohl kaum eine Perle Jesus Christus hervor. Ich spüre hier nur eines: Macht.
Auf einem Altar liegt ein Buch (liebe Katholiken: Ist das überhaupt mit Euren Heiligkeitsvorstellungen vereinbar?) in das Menschen ihre Gebete, Wünsche, Bitten und Dank aufschreiben. Da liegt es drin, dass jemand tatsächlich den Anfang des Liedes "Herr ich danke dir, denn du bisch so gut zu mir. Dini Gnad, dini Liebi het keis Änd." (Autor: Jean-Daniel von Lerber, "voll" evangelikal!) aufgeschrieben hat. Darunter steht: "Danke dass ich hier sein kann - es ist wirklich ein Kraftort." ("voll" esoterisch!). Menschen von heute vermischen alles und können kaum noch unterscheiden, kennen die Hintergründe nicht. Und so wurstelt die röm. katholische Kirche mit ihren Bildern und ihrem Götzendienst fröhlich - oder doch eher unüberlegt, traditionsbehaftet und stur - weiter. Der Bildersturm der Reformation war, trotz dem Verlust von Kulturgut, notwendig.
Eine Muschel als Bild würde durchaus genügen.